Titelbild: Quelle: Fraunhofer IPA/Adobe Stock

In global produzierenden Unternehmen ist das Management des Produktionsnetzwerks und seiner Fabriken komplex. Unternehmensspezifische Standortrollen können dazu beitragen, diese Komplexität zu reduzieren und damit eine agile Entwicklung und Gestaltung von Fabriken in Produktionsnetzwerken ermöglichen.

 

Juni 2025 Die zunehmende Globalisierung in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass Unternehmen Werke im In- und Ausland aufgebaut und ihr Produktionsnetzwerk unsystematisch und opportunitätsbezogen erweitert haben. Dabei führt die steigende Zahl der Werke innerhalb eines unternehmensinternen Produktionsnetzwerks zu einer immer höheren Komplexität für das Management und für die Entwicklung einer konsistenten und kohärenten Netzwerkstrategie. Über die Zeit wandelt sich nicht nur das Produktionsnetzwerk als Ganzes, es reagiert auch jeder einzelne Standort auf sich stetig verändernde Anforderungen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens. Die Standorte verfolgen einen Spezialisierungsansatz, um die jeweils individuellen Ziele unter Ausnutzung lokaler Gegebenheiten bestmöglich zu erreichen. Dabei werden die Auswirkungen dieser dezentral getroffenen Entscheidungen auf die anderen Standorte im Netzwerk meist nicht betrachtet. Außerdem sind die Folgen einer Strategieanpassung für das Netzwerk und seine Standorte aufgrund der Komplexität meist nicht vollumfänglich erkennbar und bewertbar.

Ein möglicher Ansatz zur Reduzierung der Komplexität innerhalb eines klassischen Produktionsnetzwerks ist die Standardisierung der Produktionsstandorte. Jedoch kann aus dieser Standardisierung eine unnötige Redundanz sowie der Verlust von lokalen Standortvorteilen resultieren. Darüber hinaus können strategische Anpassungen entweder zu hohen Umsetzungskosten führen, da jeder Standort gleichermaßen angepasst werden muss, oder zu einer höheren Heterogenität, was im Widerspruch zum Versuch der Standardisierung steht.

 

Standortrollen reduzieren Koordinationsaufwände

Klar definierte Standortrollen können dabei helfen, einen geeigneten Mittelweg zwischen Standardisierung (Werke mit derselben Standortrolle) und Spezialisierung (Werke mit unterschiedlichen Standortrollen) zu finden. Existierende Standortrollenansätze lassen jedoch häufig keine Clusterung von Werken zu oder bewegen sich mit generisch definierten Rollen auf einer eher strategischen Ebene, ohne operative Empfehlungen. Die Anwendbarkeit solcher generischen Rollen ist in der Praxis stark beschränkt.

Die WGP-Forschenden des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart hat in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) ein vierstufiges Vorgehen entwickelt, das die Ableitung eines unternehmensspezifischen Sets an Standortrollen ermöglicht. Die Standortrollen werden dabei über produktionsprozessorientierte Merkmale beschrieben. So können konkrete Rückschlüsse auf die Gestaltung einer Fabrik auf Basis der zu erfüllenden Rolle gezogen werden. In Abhängigkeit des spezifischen Anwendungsfalls besteht sogar die Möglichkeit, standortrollenspezifische Ideallayouts zu entwickeln. Das Vorgehen sieht zudem die Identifikation von Verschwendung im Netzwerk und an den Standorten vor. Hierbei hilft eine eigens entwickelte Typologie von Verschwendungsarten. Die Standortrollen tragen zu einer Minimierung der identifizierten Verschwendung bei.

 

Bild 1: BU: Fraunhofer IPA-Vorgehen zur Entwicklung unternehmensspezifischer und produktionsprozessorientierter Standortrollen (Quelle: Fraunhofer IPA)

Bild 1: BU: Fraunhofer IPA-Vorgehen zur Entwicklung unternehmensspezifischer und produktionsprozessorientierter Standortrollen (Quelle: Fraunhofer IPA)

 

 

Vier Fähigkeiten für ein resilientes Produktionsnetzwerk

Das entwickelte produktionsprozessorientierte Standortrollenkonzept der Stuttgarter Forschenden bietet Unternehmen die Möglichkeit, ein resilientes Produktionsnetzwerk zu gestalten, das auf disruptive Marktänderungen agil reagieren kann. Voraussetzung hierfür sind vier Fähigkeiten, die durch die Entwicklung von Standortrollen erreicht werden können:

  1. Allokierbarkeit = die Fähigkeit eines Produktionsnetzwerks, Stückzahlen und die damit verbundenen Kapazitäten zwischen verschiedenen Standorten zu verlagern; Beispiel: Ein Werk übernimmt kurzfristig Aufträge für ein anderes Werk.
  2. Machbarkeit = die Fähigkeit eines Produktionsnetzwerks und seiner Standorte, seine Wertschöpfungsbreite und/oder Wertschöpfungstiefe anzupassen; Beispiel: Ein neues Produkt wird in das Portfolio aufgenommen und soll im Netzwerk hergestellt werden.
  3. Qualifizierbarkeit = die Fähigkeit, neue Kernkompetenzen im Produktionsnetzwerk aufzubauen, Kernkompetenzen an Standorte zu übertragen oder bestehende Kernkompetenzen auf neue Produkte anzuwenden; Beispiel: Ein Unternehmen vergrößert seine Wertschöpfungstiefe und übernimmt einen zusätzlichen Prozess, der im Netzwerk abgebildet werden kann.
  4. Diversität = die Fähigkeit, durch Standortprofilbildung und die gezielte Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen den Standorten die Effizienz eines Produktionsnetzwerks zu steigern; Beispiel: Werke passen sich optimal an die jeweiligen Vorteile eines Standorts an.

 

Anwendung der Fraunhofer IPA-Standortrollen-Methodik in der Praxis

Das entwickelte Vorgehen konnte bereits in zahlreichen Projekten für Kunden aus unterschiedlichsten Branchen erfolgreich angewandt werden. Für einen global tätigen Automobilzulieferer konnten beispielsweise drei Standortrollen entwickelt werden, die eine Strukturierung des Produktionsnetzwerks ermöglichten und klare Verantwortlichkeiten im Netzwerk definierten. So konnte die Komplexität des Netzwerks deutlich reduziert und für jedes Werk ein Leitbild geschaffen werden, das die Kommunikation der Rolle und der Entwicklungspfade deutlich vereinfachte. Darüber hinaus wurden unnötige Redundanzen im Netzwerk abgeschafft und die Leistungsfähigkeit des Netzwerks erhöht.

 

 

 


 

Mehr Informationen

https://www.ipa.fraunhofer.de/de/aktuelle-forschung/fabrikplanung-und-produktionsmanagement/fabrikplanung/produktionsnetzwerk.html

https://www.ipa.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/standortrollen-joyson.html

https://www.ipa.fraunhofer.de/de/veranstaltungen-messen/veranstaltungen/2025/standortrollen.html

 

Ansprechpartner

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA)
RPTU Kaiserslautern

Prof. Thomas Bauernhansl
Institutsleiter
Tel.: +49 711 970-1100
E-Mail: thomas.bauernhansl@ipa.fraunhofer.de 

Marc-André Berchtold
Senior Projektleiter
Tel.: +49 711 970-1780
E-Mail: Marc-andre-berchtold@ipa.fraunhofer.de

 


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