In Zeiten des europäischen Green Deals rückt das Thema der biologischen Transformation immer mehr in den Fokus der Industrie. Forschungsteams aus WGP-Instituten wie dem Fraunhofer IPA, IAO, IML oder IPT  treiben deren dritte Stufe, die biointelligente Produktion, voran. Hier werden Natur, Technik und Informationen in Form von Daten miteinander integriert. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA stellte nun das Zentrum für Biointelligente Produktion als eigenständige Abteilung auf. „Hier bündeln wir Kompetenzen aus den Abteilungen Nachhaltige Produktion und Qualität und Biomechatronische Systeme mit dem Ziel, die Expertise im Zukunftsfeld der Biointelligenten Produktion zu erweitern und uns intern und extern noch stärker zu vernetzen“, so Institutsleiter und WGP-Mitglied Prof. Thomas Bauernhansl.

Dr. Robert Miehe, der Leiter der neuen Abteilung, wird mit seinem Team künftig innovative nachhaltige Verfahren, Strukturen, Technologien, Modelle und Systeme entwickeln, um Biointelligenz gezielt in die Industrie zu überführen. Miehe treibt das Thema bereits seit einigen Jahren um. Er ist Gründungsmitglied und Vorstand des interdisziplinären Vereins Kompetenzzentrum Biointelligenz in dem neben WGP-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern auch weitere Universitäten wie Hohenheim und Tübingen sowie Industrieunternehmen zusammenarbeiten. Das Kompetenzzentrum betreibt unter anderem einen Internet-Blog, der das Thema Biointelligenz auch in die gesellschaftliche Breite tragen will. All diese Aktivitäten vereint der Gedanke, Technik, Natur und Daten sinnvoll miteinander zur verbinden, sodass eine nachhaltige, dezentrale und personalisierte, bedarfsorientierte Wertschöpfung für alle möglich wird. Damit sind die Forscherinnen und Forscher auch international ganz vorne mit dabei. Im europäischen Zusammenhang organisieren die Stuttgarter beispielsweise die ManuFUTURE-Subplattform Biointelligent Manufacturing, auf der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Europa vernetzen.

„Die Biologische Transformation bringt sogenannte Biointelligente Systeme und Technologien hervor,“ so Bauernhansl, „zum Beispiel intelligente, dezentrale Produktionszellen, die biobasiert, personalisiert und dezentral Konsumgüter und Nahrungsmittel oder Arzneimittel herstellen.“ Das können Hochleistungsbeete an Hausfassaden sein, 3D-Druckereien im Hof eines urbanen Mietshauses oder Bioreaktoren zur Herstellung von personalisierten Medikamenten direkt in der Apotheke. Auch Energie kann biointelligent produziert werden.

Wasserstoff aus Biomasse

Ein zentrales Thema, das im neuen Zentrum erforscht wird, ist die klimapositive Energieversorgung mit Hilfe von grünem Wasserstoff. Gruppenleiter Johannes Full erklärt, wie das funktioniert und warum das ein Schritt in Richtung Biologischer Transformation ist:

Mit Brennstoffzellen wird aus Wasserstoff und Sauerstoff elektrischer Strom erzeugt. Dieser chemische Prozess heißt unter Kennern »kalte Verbrennung«, weil hier die Energie nicht nur als Wärme, sondern auch in Form von elektrischem Strom freigesetzt wird. Die »kalte Verbrennung« ist ein etablierter Vorgang in der Natur, der in ähnlicher Weise fast in jeder natürlichen Zelle vorkommt. Brennstoffzellen nutzen also ein Prinzip aus der Natur im Sinne der ersten Stufe der dreistufigen Biologischen Transformation, der Inspiration.

Grüner Wasserstoff kann aus pflanzlichen Rest- und Abfallstoffen gewonnen werden, die in der Industrie, Landwirtschaft oder in privaten Haushalten anfallen. Heute werden solche Abfälle meistens unter Freisetzung von CO2-Emissionen verbrannt oder kompostiert. In Zukunft kann Restbiomasse jedoch genutzt werden, um Energie in Form von Wasserstoff zu gewinnen. Der Vorteil, der im Kampf gegen den Klimawandel entscheidend sein kann, liegt auf der Hand: Bei der Erzeugung des Biowasserstoffs kann nicht nur CO2 eingespart, sondern der Atmosphäre sogar entzogen werden: Klimawandel quasi rückwärts. Aber wie funktioniert das?

Ausgangspunkt ist die Wasserstofferzeugung aus pflanzlichen Rest- und Abfallstoffen. Im Sinne der zweiten Stufe der Biologischen Transformation, der Integration, können dabei Mikroorganismen zum Einsatz kommen. Sie können sich aus den Reststoffen ernähren und dabei Wasserstoff und CO2 freisetzen. Das CO2, das in der pflanzlichen Biomasse durch Photosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen wurde, kann dann abgefangen und langfristig gespeichert oder als Rohstoff genutzt werden.

Neue Technologien für radikal neue Perspektiven

Der technologische Ansatz, der dahintersteckt, wurde am Fraunhofer IPA unter Beteiligung des WGP-Professor Bauernhansl sowie des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart entwickelt. Er trägt die komplizierte Abkürzung HyBECCS (Hydrogen Bioenergy with Carbon Capture and Storage), ist aber eine kleine Sensation. Grundlage ist die thermochemische oder biotechnologische Biowasserstoffproduktion und die Abscheidung und Speicherung bzw. Nutzung des dabei anfallenden Kohlendioxids. Damit kann ein negativer CO2-Fußabdruck erreicht werden. Mit HyBECCS-Verfahren werden also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Fossile Energieträger können durch den emissionsfreien Wasserstoff ersetzt werden und gleichzeitig wird während der Herstellung des Wasserstoffs aktiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen.

Innerhalb der nächsten Jahre werden nun Demonstratoren aufgebaut und dann rasch vermarktet.

Autorin: Birgit Spaeth, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

Förderung: H2 Wood, BMBF EFFRE und Umweltministerium Baden-Württemberg

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Bild 1: Biointelligenz spielt auch bei der Entwicklung von Produktionstechnologien für Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products), wie hier im Labor des Fraunhofer IPA, eine große Rolle. Quelle: Fraunhofer IPA / Rainer Bez

Bild 2: Grüner Wasserstoff in der Produktion hat einen klimapositiven Effekt. Quelle: Fraunhofer IPA /Johannes Full

Bild 3: Prof. Thomas Bauernhansl, Leiter des WGP-Instituts IFF der Universität Stuttgart und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, Quelle: IFF Universität Stuttgart