Prototyp der mithilfe von Form-Gedächtnis-Legierungen betriebenen Handeinheit | Quelle: LPS Bochum

Ein automatisiertes Therapiegerät soll die Bewegungsfähigkeit von Schulter, Arm und Hand nach neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfällen wiederherstellen und Rehakliniken entlasten.

Juli 2021 – Um dem steigenden Bedarf medizinischer Versorgung in Anbetracht des demografischen Wandels entgegenzuwirken, bietet es sich an, die Potenziale der Automatisierungstechnik zu nutzen. Insbesondere bei Schlaganfällen und anderen neurologischen Erkrankungen hat sich gezeigt, dass nach der Akutversorgung ein immenses Rehabilitationspotenzial mit hohem Personalbedarf besteht. Von den Betroffenen, die bei der Aufnahme in eine Rehabilitationsklinik ihre Hände und Arme nicht mehr bewegen können, erlangen nur 14% die volle Funktionsfähigkeit wieder. 30% verzeichnen nur teilweise funktionale Zugewinne und die Mehrheit von 56% behält ihre Funktionsverluste. Es besteht daher ein immenser Bedarf an Therapieleistungen. Im Bereich der unteren Extremitäten und einzelner Funktionsgruppen der oberen Extremitäten sind bereits automatisierte Lösungen für die tägliche therapeutische Anwendung verfügbar. Ein bisher nicht ausreichend erforschter Bereich ist dagegen die automatisierte Rehabilitation der gesamten Funktionsgruppe, von den Fingern bis zur Schulter, die auch zu Hause durchgeführt werden kann.

Wiederholungen bleiben im Gedächtnis

Dabei stellt die Fähigkeit, Dinge zu greifen, eine fundamentale Fertigkeit dar, ohne die der Mensch in seinem Alltag stark eingeschränkt bleibt. Aus diesem Grund wird im Projekt TheraGrip ein automatisiertes Hand- und Armtherapiegerät für die Greifrehabilitation erforscht, dass nicht nur die Therapeutinnen und Therapeuten entlastet, sondern durch eine hohe Anzahl von Wiederholungen unterschiedlicher Bewegungsabläufe auch einen erhöhten Therapieerfolg für die behandelten Personen erzielt. Denn bei Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, wurden bestimmte Hirnareale durch Sauerstoffunterversorgung geschädigt. Werden allerdings bestimmte Bewegungen regelmäßig wiederholt, hinterlässt das seine Spuren im Gehirn: Es bilden sich neue Nervenverbindungen und andere Areale übernehmen die verlorengegangenen Funktionen. „Diese sogenannte Neuroplastizität unterstützt TheraGrip und hilft so dabei, die Greiffähigkeit wiederherzustellen“, erläutert Prof. Bernd Kuhlenkötter, Leiter des Lehrstuhls für Produktionssysteme (LPS) an der Ruhr-Universität Bochum.
Dafür allerdings muss das Gerät in der Lage sein, die Bewegungsabläufe des normalen Greifens zu imitieren und die Patientinnen und Patienten während des Trainings anforderungsgerecht zu unterstützen.

Bewegungsdatenerfassung für die physiologisch korrekte Greifrehabilitation | Quelle: LPS Bochum

Bewegungsdatenerfassung für die physiologisch korrekte Greifrehabilitation | Quelle: LPS Bochum

Authentische Bewegungen ermitteln und nachahmen

Um physiologisch korrekte Greifvorgänge zu imitieren, müssen zunächst einmal entsprechende Aktor- und Kinematikkonzepte erforscht werden. Der Fokus des Forscherteams der WGP (Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik) am LPS liegt dabei auf der Handrehabilitation. An den Greifbewegungen sind neben Finger und Hand allerdings auch Schulter und Arm beteiligt, so dass auch diese Funktionsgruppen mit einbezogen werden müssen. Um authentische Bewegungen aufzuzeichnen, müssen zudem Geschwindigkeit, Winkel und Querschnitt analysiert werden. „Der Griff zum Kugelschreiber ist eine ganz andere Bewegung als der Griff zur Wasserflasche“, konkretisiert der Projektverantwortliche Michael Miro. Hierbei wird in enger Zusammenarbeit mit den therapeutischen Partnern des Ambulanticums in Herdecke ein ganzheitliches Konzept entwickelt. Um die Bewegung authentisch abzubilden, wurden hierfür mit einem 3D-Kamerasystem in einem ersten Schritt die manualtherapeutischen Bewegungen verschiedener Therapieformen ermittelt (siehe Abbildung).

Technische Umsetzung ist knifflig

Auf Basis dieser Analyse wurde ein umfassendes Aktor- und Kinematikkonzept ausgearbeitet. Als mögliche Aktortechnologie werden gewicht- und raumsparende Form-Gedächtnis-Legierungen erprobt (siehe Beitragsbild). Diese Nickel-Titan-Legierungen werden bereits seit längerem als Stents oder Marknägel in der Medizintechnik eingesetzt. Aufgrund ihres geringen Gewichts, ihrer geringen Größe, der lautlosen Arbeitsweise und ihrer Biokompatibilität eignen sie sich hervorragend als medizintechnische Aktoren. Sie verfügen über die Fähigkeit, durch thermisch induzierte Umwandlungen ihres Gefüges auf kleinstem Raum die benötigten Stellwege und -kräfte zu realisieren. Bei der Entwicklung der Aktoren muss jedoch noch die Frage geklärt werden, wie die Aktorlebensdauer erhöht werden kann, denn die ist stark abhängig von auf sie einwirkenden Kräften und der durch Bestromung entstehenden Wärme.

Einen ersten Prototypen, der mittels Simulation und Vorabdemonstrator getestet worden ist, will das Forschungsteam der WGP bis Ende 2021 präsentieren. Dieser Demonstrator wird dann den therapeutischen Partnern zur Verfügung gestellt, um ihn an Betroffenen zu erproben und durch das Feedback der Therapeuten und Therapeutinnen sukzessive weiterzuentwickeln. Das optimierte Gerät soll dann bis zum Projektende im Herbst 2023 fertiggestellt sein.

Beitragsbild: Prototyp der mithilfe von Form-Gedächtnis-Legierungen betriebenen Handeinheit | Quelle: LPS Bochum


Weitere Informationen

https://www.lps.ruhr-uni-bochum.de/forschung/projekte/theragrip

Förderer

Das Projekt TheraGrip wird im Rahmen der Fördermaßnahme „KMU-innovativ: Medizintechnik“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der Förderkennziffer 13GW0417A gefördert.

Ansprechpartner

Lehrstuhl für Produktionssysteme / Fakultät für Maschinenbau (LPS)
Ruhr-Universität Bochum

Prof. Bernd Kuhlenkötter
Tel.: +49 (234) 32-26308
E-Mail: kuhlenkoetter@lps.ruhr-uni-bochum.de

Michael Miro
Tel.: +49 (234) 32-27628
E-Mail: miro@lps.ruhr-uni-bochum.de

Downloads:

Beitragsbild: Prototyp der mithilfe von Form-Gedächtnis-Legierungen betriebenen Handeinheit | Quelle: LPS Bochum
Bild 1: Bewegungsdatenerfassung für die physiologisch korrekte Greifrehabilitation | Quelle: LPS Bochum