Hannover, 26. November 2018 – Roboter- und 3D-Drucklösungen im Internet bestellen wie Handwerker bei MyHammer: Das soll künftig über zwei neue Plattformen möglich sein, die mehrere WGP-Institute gemeinsam auf den Weg gebracht haben. „Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik wendet sich neben der klassischen Produktionstechnik natürlich auch neuen Entwicklungen zu, um am Puls der Zeit zu bleiben“, erläutert Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP und Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz-Universität Hannover. „Industrie 4.0 ist in aller Munde. Dabei denken die meisten an digitalisierte und vernetzte Fertigung. Die Plattformökonomie ist aber ein weiterer wichtiger Aspekt, der unsere Marktstrukturen nachhaltig verändern wird. Deshalb ist sie auch ein Thema für die WGP.“
Neue Lösungen für den Massenmarkt
Die Produktionstechniker haben gemeinsam mit anderen Forschungsinstitutionen die Plattformen ROBOTOP und 3D-Print-Cloud BW entwickelt. Wie bei MyHammer, wo Handwerker aller Sparten vermittelt werden, sollen Unternehmer künftig bei beiden Plattformen für ihr jeweiliges produktionstechnisches Anliegen passende Angebote nutzen und Experten finden können. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind diese digitalen Gesamtangebote interessant. Denn bislang ist umfangreiches Fachwissen vonnöten, um robotische Applikationen oder auch additive Verfahren innerhalb der Prozesskette zu realisieren.
Roboter- ebenso wie 3D-Druckanwendungen sind hochkomplex. Aufgrund der zunehmenden technischen Anforderungen an Verfügbarkeit, Reproduzierbarkeit bzw. Qualität und Sicherheit von industriellen Anwendungen sind zudem umfangreiche Kenntnisse der Normungslage notwendig. Nicht zuletzt ist auch der Engineering-Aufwand hoch. Mit Blick auf die vorhandenen Prozesse und umgebenden Geräte müssen die für die jeweiligen Aufgaben geeigneten Maschinen ausgewählt werden. Die anschließende Programmierung und Systemintegration verlangt ebenfalls Expertenwissen und ist zeit- und kostenaufwändig. Das alles hat zur Folge, dass viele Roboter- beziehungsweise 3D-Drucklösungen derzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt wirtschaftlich sind. Die Hürden für kleine und mittelständische Unternehmen, denen häufiger fachliche und finanzielle Mittel fehlen, sind entsprechend höher als für Großkonzerne.
Plattformökonomie wird konkret
Die WGP-Wissenschaftler präsentierten vergangenen Freitag gemeinsam mit ihren fünf Projektpartnern einen ersten Prototypen von ROBOTOP. Seitens der WGP waren die Institute FAPS (Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionstechnik) der Universität Erlangen-Nürnberg, das wbk (Institut für Produktionstechnik) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die LPS (Lehrstuhl für Produktionssysteme) der Ruhr-Universität Bochum beteiligt. Auf der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Online-Plattform können Kunden selbst ohne Vorwissen individuelle Robotik-Anwendungen planen, die notwendigen Module einkaufen und wenn gewünscht mit Unterstützung von Experten umsetzen. „Somit werden Automatisierungslösungen erstmals für ein breites Publikum effizient planbar“, erläutert Prof. Bernd Kuhlenkötter, Leiter des LPS Bochum. „Wir prüfen permanent und regelbasiert die technische Machbarkeit und Kompatibilität der gewählten Komponenten. Dadurch werden für das individuelle Anliegen nur geeignete Elemente automatisiert vorgeschlagen. Der Anwender kann dann zwischen sämtlichen kompatiblen Varianten anhand technischer Daten oder des Preises die für ihn geeignetste Lösung auswählen.“ Darüber hinaus können Interessierte ihre Roboteranwendung über eine Online-Simulation virtuell absichern. Damit werden im Zweifel Fehler schon im Vorfeld eliminiert. Durch eine dreidimensionale Darstellung können die Konzepte geprüft und Entscheidern ansprechend vorgestellt werden.
Den Prototypen der 3D-Print-Cloud BW präsentierten die WGP-Institute wbk am Karlsruher Institut für Technologie und das Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) Stuttgart gemeinsam mit den Kollegen anderer Forschungsinstitute auf der AMB in Stuttgart. Die ebenfalls einzigartige 3D-Print-Cloud BW wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert und hat flexible und kundenindividuelle Produktion mit in die Prozesskette integrierten additiven Verfahren zum Ziel. Gleichzeitig sollen Produktionszeiten verkürzt und Kosten gesenkt werden. „Die Plattform hilft, die Produktionsanlagen effizient und damit auch nachhaltiger zu nutzen“, berichtet Prof. Jürgen Fleischer, Leiter des Instituts für Produktionstechnik (wbk) des KIT. „Im Vergleich zu bisherigen Technologien können additive Fertigungsverfahren sehr komplexe Bauteile mit kürzeren Vorlaufzeiten in geringen Stückahlen deutlich wirtschaftlicher produzieren. Durch zusätzliche Freiheitsgrade können zudem Bauteilstrukturen erzeugt werden, die bisher, wenn überhaupt, nur unter großem Zeit- und Kosteneinsatz fertigbar waren.“ Unternehmen finden auf 3D-Print-Cloud BW Angebote über die gesamte Prozesskette der additiven Fertigung: von der Konstruktion über Simulation und Fertigung bis hin zur Nachbearbeitung der additiv gefertigten Teile.
Völlig neue Geschäftsmodelle entstehen
Über die neuen Plattformen entstehen eine Vielzahl neuartiger Geschäftsmodelle. Bis zum Jahr 2020 sollen zum Beispiel auf der 3D-Print-Cloud BW viele aktuelle Spezialprozesse im Angebot sein, aber auch solche, die es heute noch gar nicht gibt. Die Akteure werden vernetzt sein und deren Prozesse und Technologien als Dienstleistungen auf der Plattform gebündelt angeboten werden. „Über die 3D-Print-Cloud BW werden damit nicht nur bislang nicht ausführbare Aufträge generiert, sondern diese werden auch auf denkbar einfache Weise abgewickelt“, so Fleischer.
Auch über ROBOTOP sollen neue Geschäftsmodelle im Engineering von Robotik-Lösungen geschaffen werden – sowohl für die Plattformbetreiber und Komponentenanbieter als auch für die Anwender. So können Expertenleistungen abgerufen und leistungsfähige Engineering-Software-Funktionen wie Konstruktions-, Planungs- und Simulationssysteme ohne aufwändige Installation genutzt werden. Zudem kann eine unbegrenzte Vielfalt an Hard- und Softwarelösungen ganz einfach weltweit vermarktet, werkstückspezifische Komponenten wie Vorrichtungen und Ersatzteile bedarfsgerecht produziert und verkauft oder auch innovative Marketing-Services auf Basis der neu generierten Informationen angeboten werden. Beispiele hierfür sind Informationsbedarf, Kaufverhalten und Koppelgeschäfte.
Die verschiedenste Akteure integrierenden Plattformen bieten nicht nur ihren beteiligten Verbundpartnern eine technologische Überlegenheit im Vergleich zu üblichen kollaborativen oder bilateralen Engineering-Diensten. Im Gegensatz zu den bislang üblichen proprietären Einzellösungen schaffen ROBOTOP und 3D-Print-Cloud BW die Basis für Engineering-Aspekte wie Wiederverwendung, das Teilen oder die Vermarktung von Systemlösungen.
Da beide Plattformen branchenübergreifend von unterschiedlichsten Anwendern genutzt werden können, gehen die WGP-Wissenschaftler davon aus, dass sie sich schnell etablieren werden.
Weitere Informationen:
Informationen zu 3D-Print Cloud BW www.3d-print-cloud-bw.com
Informationen zu ROBOTOP https://robotop-konfigurator.de/
Bild 1: Vorstellung des ROBOTOP-Prototypen in Würzburg, 23. 11.2018, (v.l.n.r.): Lars Penczek, Timm Benkner, Eike Schäffer; Quelle: LPS Ruhr-Universität Bochum
Bild 2: Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover, Quelle: IFW Hannover
Bild 3: Prof. Jürgen Fleischer, Leiter des Instituts für Produktionstechnik wbk, am Karlsruher Institut für Technologie KIT, Quelle: wbk, KIT
Bild 4: Prof. Bernd Kuhlenkötter, Leiter des Lehrstuhls für Produktionssysteme (LPS) der Ruhr-Universität Bochum, Quelle: LPS Bochum
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