der Helmut-Schmidt-Universität | Quelle: Tobias Redlich

Die lokale Produktion von persönlicher Schutzausrüstung gegen COVID-19 insbesondere für medizinisches Personal lässt sich einfach umsetzen, wenn offene und dezentrale 3D-Druck-Werkstätten für Eigenproduktionen genutzt werden. In Hamburg werden solche FabLabs vorangetrieben.

 

Juni 2020 – Das Laboratorium Fertigungstechnik (LaFT) der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität hat gemeinsam mit Experten aus Krankenhäusern und einem Industriepartner in nur einem Monat einen eigens entwickelten Prototypen eines Gesichtsschilds entwickelt, zertifiziert und in die professionelle Massenproduktion überführt. Wie war das möglich?

Das Projekt begann Ende März im FabLab (das sog. „OpenLab“) der Helmut-Schmidt-Universität [Bild 1]. FabLabs sind offene und dezentrale Werkstätten, von denen es derzeit mehr als 1.500 weltweit gibt und die der breiten Öffentlichkeit lokalen Zugang zu digitalen Fertigungsmethoden z.B. 3D-Druck bieten. Das besonders Spannende am Konzept der FabLabs: Sowohl das Produkt als auch die Produktionsmaschinen sind sogenannte Open Source-Hardware, das heißt Designs, Baupläne und Montageanleitungen der Produkte und Maschinen sind frei verfügbar. FabLabs wurden bereits unmittelbar nach Beginn der Corona-Krise von der Europäischen Kommission aufgerufen, mit ihrem Fachwissen und ihren Produktionskapazitäten vor Ort zur Überwindung von Engpässen bei Schutzausrüstungen beizutragen.

Diesem Aufruf sind die Mitarbeiter des Laboratorium Fertigungstechnik (LaFT) gefolgt und haben vor Ort ein Gesichtsschild zur Reduzierung des Risikos einer Tröpfcheninfektion entwickelt, das als Spritzschutz über dem Mundschutz getragen werden kann [Bild 2]. „Die Funktionsweise des Gesichtsschilds ist simpel: Durch eine Schutzfolie sollen weniger Tröpfchen aus dem Umfeld auf das eigene Gesicht getragen werden.“, erklärt Institutsleiter Prof. Jens P. Wulfsberg. Ebenso wird ein direkter Ausstoß der Tröpfchen nach vorne vermindert, wodurch als positiver Nebeneffekt das direkte Umfeld eine etwas geringere Tröpfchenbelastung erfährt. Ebenso simpel ist der Aufbau des Gesichtsschilds: Es besteht aus einer durchsichtigen Schutzfolie, einer elastischen Gummilitze und einem Folienhalter aus einem handelsüblichen und kostengünstigen 3D-Drucker für die heimische Werkstatt.

 

Hamburger liefern Zertifizierung gleich mit

Solche Entwicklungen wurden bis dahin auch in anderen FabLabs auf der ganzen Welt vorangetrieben. Die Hersteller bewegen sich damit jedoch häufig in einem rechtlichen Graubereich bei Produktsicherheits- und -haftungsfragen. Außerdem hat sich herausgestellt, dass viele Einkäufer von medizinischen Artikeln trotz regionaler Engpässe während der Pandemie nicht ohne weiteres auf unzertifizierte Produkte ausweichen wollten, solange es noch Alternativen gab. Um also einen tatsächlichen Beitrag zur Überwindung von Engpässen bei Schutzausrüstungen zu liefern, haben sich die Mitarbeiter des LaFTs zu einer offiziellen Zertifizierung als persönliche Schutzausrüstung entschieden.

 

Bild 2: Die aufgesetzte Gesichtsfolie schützt die Augen (reduziert das Risiko) vor Tröpfcheninfektion in einem Winkel von 90° zur Seite und 45° von oben und unten | Quelle: Lennart Hildebrandt

Bild 2: Die aufgesetzte Gesichtsfolie schützt die Augen (reduziert das Risiko) vor Tröpfcheninfektion in einem Winkel von 90° zur Seite und 45° von oben und unten | Quelle: Lennart Hildebrandt

Der sehr umfangreiche Prozess sieht unter anderem eine Baumusterprüfung durch eine hierfür notifizierte Prüfstelle und detaillierte Dokumente über das zuzulassende Produkt und dessen spätere Fertigungskontrolle vor. Während der Baumusterprüfung werden beispielsweise Messungen zur Durchsichtigkeit der Schutzfolie oder zur Temperaturbeständigkeit durchgeführt. Die größten Herausforderungen zeigten sich neben unzureichenden oder falschen Absprachen zwischen zuständigen Behörden und Prüfstellen im sogenannten Streulichttest, bei dem die Schwellwerte von eingangs genutzten und einfach beschaffbaren Overhead-Folien aus PET deutlich überschritten wurden. Daher stellten die Hamburger auf Polycarbonatfolien um und gingen eine Forschungskooperation mit der Dr. Dietrich Müller GmbH als Zulieferer zur Professionalisierung des Vorhabens ein. Die Kooperationspartner haben anschließend nach kurzer Zeit die EU-Baumusterprüfung mit CE-Kennzeichnung erfolgreich durchführen lassen und können seitdem zertifizierte persönliche Schutzausrüstung in Masse produzieren.

 

Jetzt heißt es mitmachen

Von Projektbeginn bis zum Markteintritt waren hierfür weniger als vier Wochen notwendig. Dr. Tobias Redlich, Projektleiter am LaFT, betont: „Wir haben gezeigt, wie man im OpenLab Hamburg innerhalb weniger Tage auf Grundlage von weiterentwickelten Open-Source-Designs die Produktion auf 5.000 Gesichtsschilde pro Woche mit einfachen und handelsüblichen 3D-Druckern hochfahren kann. Es ist bemerkenswert, mit welcher Geschwindigkeit wir es geschafft haben, von der ersten Idee zu einem neuen Produkt zu kommen, dieses zu verbessern, zu zertifizieren und eine entsprechende Produktion dafür aufzubauen und zu skalieren“. Besonders spannend im vorliegenden Kontext: FabLabs arbeiten mit quelloffenen Open Source-Maschinen und -Produkten. Das heißt jeder und jede Interessierte kann sich alle für die Laboreinrichtung und Produktion notwendigen Informationen problem- und kostenlos im Internet besorgen. Am Ende stellt sich für die Zukunft nur noch eine wesentliche Frage: Wie viele FabLabs werden nachziehen und somit weitere Beiträge zur Bewältigung der Pandemie leisten können? Die Voraussetzungen sind jetzt optimal.

 

Beitragsbild / Bild 1: Produktion im OpenLab, dem FabLab der Helmut-Schmidt-Universität | Quelle: Tobias Redlich

 


Mehr Informationen

OpenLab der Helmut-Schmidt-Universität
http://openlab-hamburg.de/
Verordnung 2016/425 über persönliche Schutzausrüstung
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0425&from=DE
Mitteilung des Laboratorium Fertigungstechnik
https://www.hsu-hh.de/laft/unterstuetzung-mit-gesichtschilden
Verkauf der Gesichtsmaske
https://www.muellerbestellung.de/Gesichtsvisier-Abdeckung-gegen-Viren-Husten-etc

 

Ansprechpartner

Laboratorium Fertigungstechnik (LaFT)
Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Prof. Jens P. Wulfsberg
Institutsleitung
Tel.: + 49 4065 412720
E-Mail: jens.wulfsberg@hsu-hh.de

Dr. Tobias Redlich
Oberingenieur
Tel.: + 49 4065 413827
E-Mail: tobias.redlich@hsu-hh.de