Neuartige Fabriken versorgen die Bevölkerung dezentral mit Lebensmitteln – ob in der Großstadt oder in der Wüste. Der Clou: Drei normalerweise getrennt laufende landwirtschaftliche Produktionsprozesse werden in eine einzige zirkuläre Prozesskette integriert.
Dezember 2020 – Zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehören, neben Bevölkerungswachstum und Klimawandel, Globalisierung und Verdichtung des urbanen Lebens. Räumliche und infrastrukturelle Grenzen zwischen Stadtzentrum und peri-urbanem Raum verwischen nach und nach. Gleichzeitig können die zunehmende Verknappung der landwirtschaftlichen Anbauflächen und das prognostizierte Wachstum der Weltbevölkerung weder durch den laufenden Fortschritt in der Tier- und Pflanzenzüchtung noch durch eine maximale Effizienzsteigerung in der großflächigen Agrarproduktion kompensiert werden. Nicht zuletzt macht die zunehmend zentralisierte Produktion die Versorgung der Gesellschaft mit landwirtschaftlichen Produkten anfällig gegenüber Störungen. Beispiele hierfür sind Naturkatastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen, politische Krisen – oder auch Pandemien.
Dezentrale Lebensmittelproduktion ist die Zukunft
Die Vision des Konsortiums Cubes Circle, das die Agrarwissenschaftler der HU Berlin leiten, basiert auf der Grundidee einer dezentralisierten Nahrungsmittelproduktion in standardisierten, miteinander kommunizierenden Produktionsmodulen, den sogenannten Cubes. Diese sind die Basis eines geschlossenen Systems, das aufgrund seiner ISO-genormten, stapelbaren Grundform (siehe Abb. 1) und seines biokybernetischen, also von der Umgebung unabhängigen Regelungsansatzes die Schwächen heutiger Agrarproduktionssysteme überwindet. So werden zum Beispiel nicht kontrollierbare Einträge in Böden vermieden. Weil die Cubes mobil sind, können sie darüber hinaus an eine sich schnell wandelnde urbane Umgebung angepasst werden. Freiwerdende Grundstücke können zeitnah genutzt werden, noch dazu im jeweils passenden Umfang. Durch die Skalierbarkeit der Cubes, können je nach Bedarf verschiedene Container miteinander kombiniert werden. Aus den genannten Gründen sind die “Würfel” nicht nur an urbanen, sondern genauso auch an ländlichen, sogar an extrem trockenen Standorten einsetzbar.
Im Projekt sollen Grundsätze verschiedener geschlossener landwirtschaftlicher Produktionsprozesse in eine neue Prozesskette integriert werden. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die einzelnen Glieder der Kette intelligent miteinander vernetzt und geregelt werden.
Das Cubes-System (siehe Abb. 2 links) besteht aus drei Produktionsprozessen, welche ihre Nebenprodukte symbiotisch untereinander austauschen. In der Hydroponik werden pflanzenbasierte Lebensmittel ohne Erdboden mithilfe mineralischer Nährlösungen produziert. Im Projekt werden hier zunächst Tomaten- und Paprikakulturen genutzt. Die Hydroponik gibt ihr Transpirationswasser an eine Aquakultur zur Aufzucht von Fischen und anderen im Wasser lebenden Organismen, ab und erhält von dieser nährstoffreiches Fischwasser. Dem Kreislauf folgend schließt sich eine Zucht von Insekten an, hier werden Öle und Proteine hergestellt, welche unter anderem Verwendung in der pharmazeutischen Industrie finden. Die Sedimente der Aquakultur werden als Ressource genutzt, wobei Nebenprodukte der Insektenproduktion wiederum als Nahrung für die Fische dienen können. Die Insektenproduktion bekommt Nährstoffe durch Ernterückstände der Hydroponik, bietet dieser Insektenreste und schließt somit den Kreislauf des Cubes-Systems ab. Die Wissenschaftler*innen in Braunschweig haben das System so gestaltet, dass die Ressourcenflüsse in das urbane Umfeld integriert werden können – im Sinne einer positiven Ökobilanz und des Life Cycle Engineering.
Viele mögliche Stakeholder im urbanen Kreislauf
Der urbane Standort des Produktionssystems ermöglicht die Integration in die urbanen Kreisläufe (siehe Abb. 2 rechts). Symbiotische Beziehungen mit urbanen Ressourcen lassen eine zusätzliche Steigerung der Ressourceneffizienz zu. Solche Entitäten könnten Wärme abgebende Gebäudekomplexe sein genauso wie Lebensmittelreste abgebende Restaurants. Es gibt viele potenzielle Stakeholder in diesem „urbanen Metabolismus“. Angedacht ist, urban anfallende Bio-Abfälle als Rohstoff für die Insektenzucht zu verwenden. Weiterhin haben die Forscher*innen die Reinigung von urbanem Grauwasser oder die Verwendung von Regenwasser im Blick. Cubes-Systeme sind sogar als potenzielle Energiespeicher für die Flexibilisierung von Smart Grids denkbar.
Neben der Vernetzung mit lokalen Ressourcenflüssen hat die urbane Produktion von Lebensmitteln weitere positive Effekte. Denn die dezentrale Produktion in geschlossenen Einheiten kann eine gegen Naturkatastrophen und Krisen resiliente Versorgung der Gesellschaft gewährleisten. Weiterhin ermöglichen beispielsweise die verkürzten Lieferketten die Reduktion von Lebensmittelabfällen, denn es wird nur bei Bedarf geerntet. In der Folge werden auch logistische Aufwände reduziert.
Das Projekt Cubes Circle hat eine potenzielle Laufzeit von bis zu 15 Jahren. In der ersten Projektphase von fünf Jahren soll ein Demonstrator des Produktionssystems entstehen. Der Baubeginn hierfür liegt im Jahr 2021, der Technologiedemonstrator wird an der Humboldt-Universität zu Berlin in Dahlem zu sehen sein (siehe Abb. 3).
Beitragsbild: Baugrundstück Cubes Circle an der HU Berlin, Baubeginn 2021 | Quelle: Luftbild: HU Berlin, Prof. Christian Ulrichs
Mehr Informationen
Förderer
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Ansprechpartner
Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF)
Technische Universität Braunschweig
Prof. Christoph Herrmann
Institutsleitung
Tel. +49 531 391 7149
E-Mail: c.herrmann@tu-braunschweig.de
Lennart Büth
Teamleiter Urbane Produktion
Tel. +49 531 391 7634
E-Mail: l.bueth@tu-braunschweig.de
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